Kennen Sie das Gefühl: man weiß, etwas stimmt nicht, aber man kann nicht genau sagen, wo das eigentliche Problem liegt – doch dann stößt man auf ein erklärendes Konzept und nun ist plötzlich alles so offensichtlich?
So ging es uns lange Zeit, bis wir auf einen Artikel im Harvard Business Review gestoßen sind, den wir anlässlich seines 50-jährigen Erscheinens vorstellen wollen. Erstaunlicherweise hat er bis heute nichts an Relevanz verloren und erklärt hervorragend, warum in vielen Firmen eine Schieflage hinsichtlich Prozessen, Erfolg und Motivation herrscht!
In „Evolution and Revolution as Organizations Grow“ von Larry E. Greiner geht es um die 5 Phasen des Wachstums von Unternehmen. Dabei läuft jede Phase im Prinzip ähnlich ab:
- das Unternehmen wächst für eine gewisse Zeit und ist erfolgreich (Evolution)
- das Wachstum bringt das System in seiner bestehenden Organisationsform an Grenzen
- die limitierenden Faktoren verringern die Leistungsfähigkeit und führen in eine Krise (u. a. Ineffizienz, Motivationsdefizit, Fluktuation)
- erst durch einen deutlichen Umbruch (Revolution) der Organisation können die Hemmnisse überwunden werden
Interessanterweise lässt sich die Krise jeder Entwicklungsstufe immer auf ein Kernproblem reduzieren. Erst durch den Eintritt in die nächste Phase wird es gelöst. Mit dem Verständnis dieser Abfolge und dem Wissen, welche Maßnahmen aktuell notwendig sind, hat man ein wertvolles Instrument in der Hand, um ein Unternehmen gezielt zu entwickeln und weiteres Wachstum zu ermöglichen.Jede Krise hat EIN Kernproblem
Der relevante Einflussfaktor, der im Rahmen des Wachstums zur Krise führt, ist die Größe der Belegschaft (und nicht etwa Umsatz, Marktanteil, Gewinn etc.), weil die Koordinierung der Menschen (Informationsfluß, Entscheidungsprozesse etc.) Skaleneffekten unterliegt. Folglich müssen je nach Beschäftigtenanzahl andere Organisationsformen zum Einsatz kommen. Geschieht das nicht, entwickelt sich die für die jeweilige Phase typische Krise.Belegschaftsgröße bedingt optimale Organisationsform

Die 5 Entwicklungsphasen im Einzelnen (siehe Grafik):
- Kreativität
- Struktur: Verbund von Individualisten (z. B. Gründerteam, Gemeinschaftspraxis, Kanzlei mehrerer Anwälte).
- Steuerung: Wenig formalisierte Koordinierung auf informeller, persönlicher Basis mit Fokus auf Markt und Produkt (z. B. Entwicklung, Liefertermine).
- Problem: Ein Mangel an Führung entsteht durch die fehlende Bereitschaft der „Power Player“, die Verantwortung für’s Ganze zu übernehmen, sich an Entscheidungen zu halten oder unterzuordnen.
- Lösung: Schaffung einer effektiven Hierarchie, die die Umsetzung von Entscheidungen für das Gesamtunternehmen sicherstellt.
- Direktive
- Struktur: Funktional gegliederte Organisation mit zentraler Führungsperson.
- Steuerung: Alle wesentlichen (und auch viele unwesentlichen!) Entscheidungen werden durch den Chef (bzw. die Chefin) getroffen.
- Problem: Durch Mangel an Autonomie in der Organisation wird die Top-Führungskraft zum Engpass (Zeit, Wissen, Fähigkeiten, Entscheidungsvolumen).
- Lösung: Delegation an nächste Ebene(n) einschließlich Versorgung mit Information, Ausstattung mit Umsetzungsmacht, Unterstützung statt Untergraben.
- Delegation
- Struktur: Organisation aus eigenverantwortlichen Bereichen, die von der (meist mehrköpfigen) Unternehmensleitung über wenige Kernfaktoren gesteuert werden.
- Steuerung: Die Einheiten gestalten Steuerungsprozesse und Systeme im Rahmen ihrer Rollen weitgehend selber.
- Problem: Der Mangel an Ausrichtung führt zu ineffizienter Ressourcennutzung durch lediglich lokale Optimierungen.
- Lösung: Die Unternehmensleitung begegnet dem Gefühl des Kontrollverlusts mit der Einführung eng angebundener, zentraler Stabstellen, der sie Koordinierungs- und Kontrollaufgaben überträgt.
- Koordination
- Struktur: Unternehmensleitung nutzt starke Zentralbereiche und Gremien zur Koordinierung und Steuerung der operativen Einheiten.
- Steuerung: Die Ressourcennutzung wird unternehmensweit abgestimmt, Systeme und Prozesse vereinheitlicht.
- Problem: Die Bürokratie entfaltet ein zunehmend hinderliches Eigenleben, das Misstrauen wächst und die Unternehmensleitung entfremdet sich zunehmend von den operativen Einheiten. Absicherung und Risikoaversion lösen unternehmerisches Denken und Handeln ab.
- Lösung: Formale Kontrolle durch Prozesse und Organisationseinheiten wird durch Selbstdisziplin und soziale Kontrolle in den Teams ersetzt: Verantwortung & Vertrauen aufbauen!
- Kollaboration
- Struktur: Unternehmensleitung mit starkem Fokus auf Sinn und Werte schafft das Grundgerüst der Organisation aus selbstbestimmten, sich gegenseitig steuernden Einheiten.
- Steuerung: Sozialkompetenz und Teamwork – speziell auf den höchsten Führungsebenen – bilden die Basis für Kollaboration und interdisziplinäre Zusammenarbeit in Matrixstrukturen oder temporären Projektgruppen.
- Problem: Diese Organisationsform ist noch vergleichsweise jung, daher wird man erst im Laufe der Zeit feststellen können, welche Krise für diese Phase typisch sein wird.
Ergänzen möchten wir diese vielleicht theoretisch klingenden Grundlagen mit ein paar konkreten Fällen aus der Praxis, die wir natürlich nur in anonymisierter Form wiedergeben können:
Das erste Beispiel ist ganz einfach: Man nehme ein Start-up mit 3-5 Gründern, warte ca. 2 Jahre, in denen es sich gut am Markt entwickelt und in den meisten Fällen hat man einen klassischen Fall der Krise am Ende der Phase 1! Was ist passiert?Start-up: vom Gründer zum Manager
Die Firma wächst und überschreitet die Zahl von ca. 30-50 Personen. Die Gründer dürfen keine Einzelkämpfer auf ihren Fachgebieten mehr sein, sondern Vorgesetzte von Mitarbeitern. Leider ist das oft wörtlich zu nehmen: vorgesetzt, aber nicht Führungskraft!
Ein doppelter Rollenwechsel wird durch die neue Größe der Organisation erforderlich. Zum einen die Entwicklung zur Führungskraft, zum anderen der Wandel zum Manager, der als Miteigentümer Verantwortung für das Gesamtunternehmen trägt. Die eher fachlich bestimmten Aufgaben aus der Gründungsphase waren klar, sind aber zwischenzeitlich abgearbeitet. Sie werden zunehmend ersetzt durch Managementaufgaben, in denen viele Gründer unerfahren sind. Neben der Einstellung neuer Mitarbeiter empfehlen wir dem Leitungs-Team von Start-ups dringend, sich auch auf die veränderten Anforderungen an sie persönlich vorzubereiten!
Gegen Ende der Phase 3, in der relativ eigenständige Bereiche mit Autonomie und Kreativität ans Werk gingen, biegen viele Firmen in die „Konzern-Sackgasse“ ab. Was meinen wir damit?Vermeiden Sie die Konzern-Sackgasse
Die Unternehmensleitung empfindet den Mangel an Koordination der Bereiche als Kontrollverlust und baut in der Phase 4 Zentralbereiche auf, die diese Kontrolle wieder herstellen sollen. Wenn an diesem Punkt jedoch nicht intensiv die Führungskultur weiterentwickelt wird, verlieren die Vorstände/Geschäftsführungen im Laufe der Zeit häufig immer mehr den Kontakt zu den Realitäten in den operativen Einheiten. Gegenseitiges Misstrauen zwischen Stab, Linie und Unternehmensleitung macht sich breit. Es wird zunehmend schwieriger, den Weg heraus aus dieser Situation hinein in die Phase 5 zu gehen, in der hohe Sozialkompetenz, Vertrauen, Werte und ein gemeinsam getragener Sinn erforderlich sind.
Genau in dieser Sackgasse stecken unserer Ansicht nach die meisten deutschen Konzerne!
Unser dringender Rat an alle Mittelständler, die den Schritt vom Einzelunternehmer zum Management-Team gehen wollen, ist: bereiten Sie frühzeitig den Weg für weiteres Wachstum, indem Sie bewusst an Ihrer Unternehmens- und speziell der Führungskultur arbeiten! Achten Sie bei der Personalauswahl für Leitungspositionen auf die erforderlichen Sozialkompetenzen und entwickeln Sie diese gezielt weiter. Die Menschen mit den für Phase 5 erforderlichen Qualitäten verlassen in hohem Maße die oben beschriebenen Konzerne, die dann in der Sackgasse stecken. Vermeiden Sie diesen Fehler!
Verbessern Sie die Koordination der Unternehmensbereiche am Ende der Phase 3 durch Kollaboration (basierend auf Sozialkompetenz und Werten) und gemeinsam getragenen Sinn, der die Belegschaft verbindet, ausrichtet und begeistert. – Zentralismus und Administration führen in die Sackgasse und fördern eine Kultur, in der Politik statt Unternehmertum und Risikovermeidung statt dem kreativen Schaffen & Nutzen von Chancen im Vordergrund stehen!
Und? In welcher Phase befinden Sie sich aktuell?
Wir hoffen, mit unserer Einführung Ihr Interesse an diesem Thema geweckt zu haben und legen Ihnen den Originalartikel zur Lektüre ans Herz! Wir freuen uns auf Ihre Fragen oder Anmerkungen und tauschen uns gerne mit Ihnen aus!
Hier geht’s zum Artikel (Englisch) im Harvard Business Review!







